Leon schrieb:Man kann die Szenen alle etwas anders bewerten, aber es sollte meiner Ansicht nach schon sehr auffällig sein, dass viele Medienberichte ein deutlich anderes Bild vermitteln als man über die Livestreams bekommt und der Fokus schon sehr stark auf zwei ca. 5- bzw. 2-Minütige Momente eines über 5 Stunden langen Demotags gelegt wurde.
Ja. Man kann alle Szenen etwas anders bewerten und da hast du auch das Problem, warum Livestreams eine, meiner Erfahrung nach, wirklich miserable Art sind sich mit einem Demonstrationsverlauf zu befassen. Wenn du nicht gerade irgendeinen Moment Live aufzeichnest wo jemand tatsächlich erkennbar etwas sagt, oder vergleichbares. Du bekommst ein Bild aus einer einzigen Perspektive auf der Demo geliefert. Das hilft dir nicht weiter, denn gerade bei größeren Veranstaltungen gibt es unterschiedliche Dynamiken an unterschiedlichen Orten. Weshalb es ja auch so wichtig ist sich zu informieren mit wem man demonstriert.
Übrigens, die "eigeneartige " organisation die du siehst ist absolut nichts ungewöhnliches für dieses Klientel. Egal ob du es mit dem originalen schwarzen Block von Links zu tun hast, oder mit der rechten Nachahmung, diese Leute sind erfahren, entschlossen organisiert und oftmals sogar trainiert. Da gehören Befehle, gemeinsame Gesänge und auch gezielte Taktiken gegen die Polizei, wie schnelle Positionswechsel, taktisches Auseinanderdriften um Festsetzungen durch die Einsatzkräfte zu entgehen und anderes ganz normal dazu. Erfahrungsgemäß kann ich dir sagen, die kommen nicht von woanders und tauchen plötzlich und ohne erkennbare Verwendung bei der Demo auf. Die bewegen sich relativ frei darum herum. Übrigens, wäre nur eine Version des schwarzen Blockes der Grund für die Vorwürfe der Nazi-Freundlichkeit, dann würde ich dir sogar teilweise zustimmen. Der schwarze Block ist ein Faktor für sich bei großen Demos. Auffallender finde ich da allerdings die friedliche Koexistenz mit Kaiserreichflaggen. Die gibt da wesentlich mehr über die Demonstration zu erkennen.
Aber nochmal, einzelne Livestreams sind ja ganz nett. Für einen wirklichen Überblick aber völlig ungeeignet. Damit wird bis heute argumentiert, in Chemnitz hätte es vor einigen Jahren ja überhaupt keine Hetzjagden gegeben. Die Gegendemonstranten die an dem Abend im Krankenhaus gelandet sind und die hier durch die Straßen zeihende Menge mit rechten Parolen, oder die Kommilitonen von mir, die auf der Straße von selbsterklärten Ordnungshütern aufgehalten und angepöbelt wurden, waren aber nicht Teil irgendeines Livestreams. Und du bist ja auch alles andere als ein unbefangener Zuschauer. Hier willst du nichts kritisches sehen, bei den Aufnahmen von Frau Hajali damals meintest du aber, eine Journalistin die sich über eine Demo bewegt sei letztlich selber Schuld weil sie sich blöd anstelle.
Abschließend. Natürlich wird von einem langen Demonstrationstag nur ein kleiner Ausschnitt an plakativen Bildern in der Presse verbreitet. Nicht alles wird aufgenommen, von den Aufnahmen ist nur ein Minimum halbwegs brauchbar. Was erwartest du? Dass die Nachrichtensender kommentierte Liveschalten mit dutzenden Korrespondenten durchführen? Überhaupt, warst du überhaupt schon auf einer Demo, wenn dir das organisierte Verhalten von schwarz gekleideten Demonstranten und die Pressearbeit danach so komisch vorkommt, scheint es mir gerade fraglich ob du überhaupt mit Livestreams als Quelle viel anfangen kannst. Nicht böse gemeint, aber es wirkt gerade als würdest du Aufnahmen aus dem Publikum einer Sportveranstaltung kommentieren von deren Spiel du die Regeln nicht kennst. Klappt mal besser, mal schlechter, aber ich kann dir sagen, dass ich noch nicht einmal meinen eigenen Wahrnehmung zum Gesamtverlauf einer Demonstration auf der ich war volles Vertrauen schenke. Hab' es da durchaus schon erlebt, dass nachher von Gewalttaten an anderen Orten des Demotages berichtet wurde, während ich mich offensichtlich an einem netten, friedlichen Teil aufhielt. Jedenfalls bis der schwarze Block anrückte, die "Bullenschwein" Gesänge sind für mich immer ein Zeichen erst einmal den Standort zu wechseln.
Leon schrieb:Ich klammere nichts aus, sondern versuche, es zu sortieren und einzuordnen, weil es eben einen Unterschied gibt, welche politische Ansicht eine Demonstration als solches und ein einzelner Teilnehmer oder Organisator davon vertreten.
Demonstrationen sind sehr grobe Kommunikationsmittel. Natürlich kann ich da nicht bei jedem einzelnen Demonstranten auf seine detaillierten politischen Ansichten schließen. Ich kann aber sehen, welche Demonstrationsgruppen sich regelmäßig zusammenfinden und habe dann die Entscheidung zu treffen ob ich da mitmachen will.
Zitat:von einer bloßen Koexistenz nicht auf eine Akzeptanz oder gar Befürwortung rückschließen.
Wenn ich auf einer Demonstration mitlaufe auf der auch die Flagge des Kaiserreiches, der Identitären und Co. zu sehen sind, kann das einmal vielleicht als Versehen durchgehen. Du wirst von mir deshalb auch keinen Vorwurf mehr gegen Leute finden, die dann irgendwann feststellen, dass sie hier mit den falschen demonstriert haben. Wenn ich aber schon im Vorfeld weis, dass diese Leute kommen, dann habe ich mit meiner Teilnahme in der Tat entschieden, dass ich Nazis akzeptieren kann und als Verbündete befürworte, in diesem Fall gegen die Politik einer demokratisch gewählten Regierung in einem funktionierenden Rechtsstaat.
Zitat:Du behauptest, die Demonstranten wären mit der Unterstützung seitens gewaltbereiter Rechtsextremer zufrieden. Gewaltbereite Rechtsextreme mag es auf so einer Demo geben, aber sind die anderen deswegen damit zufrieden?
Wer hingeht nachdem sich Rechtsextreme aus dem ganzen Land angekündigt haben ist damit offensichtlich zufrieden genug.
Zitat:Eine Demo wurde möglicherweise von der AfD beworben. Kann sein, aber bedeutet das, dass es daher eine Kooperation mit der AfD gibt?
Es ist problemlos möglich einer oder auch allen Parteien zu kommunizieren, dass Parteikooperation nicht erwünscht ist. Ok, zugegeben hat die AfD keinen Anstand oder Moral, aber dann muss man entsprechend lautstark gegen eine derartige Vereinnahmung protestieren. Ultima Ratio wäre im Zweifel die Absage der Veranstaltung, da man die politische Assoziation nicht befürworten kann. Aber zumindest bei der letzten Demo in Berlin zeigten sich die Veranstalter nicht gerade abgeneigt von der AfD beworben und instrumentalisiert zu werden.
Zitat:Auf einer internen Veranstaltung seitens der Querdenken-Initiative hielt jemand aus der Reichsbürger-Szene einen Vortrag und viele Gäste waren negativ überrascht über diese Auswahl. Bedeutet das zwangsläufig, dass nun alle Teilnehmer Befürworter davon sind?
Abgesehen davon, dass es unglaublich Naiv von den beteiligten war eine solche Kooperation nicht anzunehmen, da die Zeichen ja nun schon eine Weile gegeben waren. Wer sich jetzt von den Querdenkern distanziert, nachdem offensichtlich geworden ist in welchem Umkreis sich das alles bewegt, der bekommt von mir einen Pass. Manche brauchen eben den Schlag mit dem holzhammer um das offensichtliche zu verinnerlichen. Politische Naivität werfe ich aber niemandem vor, so lange daraus gelernt wird.
Wer jetzt noch bei dem Verein bleibt und auf die entsprechenden Demos geht wählt aber bewusst die Nähe zu Reichsbürgern und Rechtsradikalen.
Zitat:Das ist aber die einzige Möglichkeit. Man kann den Leuten nicht in den Kopf sehen und sie nach politischer Einstellung selektieren.
Demo-Veranstalter haben durchaus die Möglichkeit zu erklären, dass bestimmte Flaggen oder andere Zeichen von Gruppenzugehörigkeiten unerwünscht sind. Das Demonstrationsrecht der Flaggenschwinger erlischt dann zwar nicht prinzipiell, aber ein Veranstalter kann ohne weiteres im Zweifel auch die Einsatzleitung der Polizei bitten die eigenen Ordner zu unterstützen und mit Platzverweisen auszuhelfen. Ein: "Bitte bringt keine Kaiserreichflagge mit." Ist aber, wie bereits gesagt, keine derartige Distanzierung, sondern eine Einladung mit dem Ziel medialen Ärger zu ersparen.
Zitat:Diejenigen, die eine Kaiserreich-Flagge mitnehmen (oder das vorhaben), sehen sich selbst oft gar nicht als rechtsextremistisch oder "Reichsbürger" an.
Wer mit einer Kaiserreichflagge zur Demo erscheint gibt sich abschließend als Feind der Demokratie zu erkennen. Unabhängig davon ob die entsprechende Person zu blöd ist die Begrifflichkeit zu verstehen. Ein klar formuliertes Verbot der Flagge und der mit ihr verbundenen Ansichten ist das mindeste, was ich von einem Demonstrationsveranstalter erwarten kann, sobald klar ist, dass entsprechende Kreise die Demo als Ziel ausgesucht haben.
Zitat:Selbst wenn man nicht will, dass so jemand überhaupt zu einer Demo kommt, gibt es kaum eine Möglichkeit, diese Leute anzusprechen, da sie sich eben nicht einer bestimmten politischen Richtung zuordnen.
Du stellst dich ans Mikro und erklärst, dass die Leute die scheiß Kaiserreichflaggen wieder wegpacken sollen, es handele sich hierbei um eine Veranstaltung von Demokraten und mit den Ansichten, die mit dieser Flagge assoziiert werden will man nichts zu tun haben. Spätestens dann macht sich einer deiner Ordner auf um den Herren zu sagen, dass die Flagge hier nicht geduldet wird. Sollten sie die Kooperation verweigern nimmt der Veranstalter Kontakt mit der Einsatzleitung der Polizei auf und bittet um Unterstützung gegen die Störer der Demonstration. Spätestens im Anschluss an die Demonstration schreibt der Veranstalter, oder wer auch immer für die Öffentlichkeitsarbeit im Team zuständig ist, dass sich das komplette Team von derartigen Ansichten distanziert und auch in Zukunft einen Raum darstellen will, der für demokratischen Diskurs gedacht ist. Verfassungsfeinde haben aber nichts da zu suchen und die Verwendung ihrer Symbole auf dem Veranstaltungsgelände ist nicht erwünscht. Entsprechende Personen werden als Störer der Demonstration betrachtet und in Kooperation mit der Polizei auch bei allen zukünftigen Demonstrationen entfernt werden. Keiner dieser Schritte ist in irgendeiner Form kompliziert, sollten die genannten Störer sich gewaltbereit und penetrant zeigen muss ein verantwortungsvoller Veranstalter sich um rechtzeitigen Kontakt mit Polizei und Ordnungsamt kümmern, damit die Problematik vor den nächsten Demos erörtert werden kann. Wenn alles nichts hilft, bleibt auch hier im Zweifel nur die Ultima Ratio, den Protest auf andere Kommunikationswege zu verlegen.
Demonstrationen sind chaotisch und laufen ab bestimmten Größen niemals perfekt ab. Aber das Auftauchen von Nazis ist keine Naturkatastrophe bei der man nur zusehen und auf das beste hoffen kann. Nazis tauchen auf, wenn sie einen Anknüpfungspunkt für ihren Autoritarismus sehen, sie verlieren aber meist sehr schnell das Interesse sich einzubringen, wenn sie merken, dass sie auf Widerstand stoßen. Es geht ihnen schließlich darum durch Präsenz Stärke zu zeigen und sich selbst und anderen das Szenario einer Machtergreifung vor Augen zu führen. Wenn Veranstaltungen aber klar und erkennbar zu verstehen geben, dass sie sich dafür nicht hergeben, dann sucht sich der rechte Abschaum ein neues Ziel.
Klar, dann hast du noch immer den ein oder anderen Esoterik-Spinner oder eine sanfte Form von Reichsbürger auf der Demo. Aber bei solchen Ausnahmefällen kann man dann tatsächlich von außen großzügig sein. Was bei den Corona-Protesten aber passiert ist, ist eine selbstverständliche Eingliederung von Rechtsradikalen durch die Veranstalter und die Teilnehmer. Immer mit der Entschuldigung vor sich selbst, man könne denen ja nicht in den Kopf sehen und sie nicht kontrollieren. Demonstrationsveranstalter haben aber im Rahmen ihrer Veranstaltung zusätzliche Rechte und Pflichten gegenüber den Demonstrationsteilnehmern, was sie absolut in die Lage versetzt auch zu sagen, dass bestimmte Gruppen nicht Teil der eigenen Veranstaltung sind und ihre Präsenz damit den Ablauf der eigenen, angemeldeten Veranstaltung stört. Im Grunde müssten die Corona-Protestierenden nur versuchen auf Nazis anzuwenden, was sie wiederholt gegenüber Journalisten machen. Feindeseligkeit bis Hass zum Ausdruck bringen und versuchen sie auszuschließen. Aber ich schätze, man schneidet sich nicht ins eigene Fleisch.