Und gemacht wird wahrscheinlich wieder gar nichts. Statt dessen werden wahrscheinlich weiterhin hochpreisige Neubaugebiete für Einfamilienhäuser in unmittelbarer Elbnähe ausgewiesen, wo Häuser gebaut werden wie weit im Hinterland, also mit Erdgeschoß nicht mal einen Meter überm umgebenden Boden, und ohne Deich dazwischen.
Jetzt vergleichen wir das mal mit dem Norden. Hier passiert das auch mal, daß Gewässer über die Ufer treten und daraus Schaden entsteht. Allerdings kommt bei uns das Wasser vom Meer her, das Ganze nennt sich dann Sturmflut und ist noch heftiger. Nach der
1962er Sturmflut (315 Tote alleine in Hamburg; verglichen damit ist jedes bisherige Elbhochwasser Pillepalle) hat man den Sturmflutschutz an Nordsee und Elbe immer weiter ausgebaut und baut weiterhin aus. Nochmals neue Deiche mit höherer Krone und breiterem Fuß, Sperrwerke u. a. an Krückau und Pinnau (da war ich gestern erst) oder auch an der Eider in Tönning und so weiter. 1976 hatten wir eine noch schwerere Sturmflut, passiert ist aber nur wenig, eben weil hier die Schutzmaßnahmen verbessert wurden.
Ach ja, neu sind solche Sturmfluten nicht. Genau 600 Jahre und einen Monat vor der 1962er Sturmflut hatten wir nämlich die
zweite Marcellusflut. Die ging quer durch die Marsch bis an den Geestrand, also
zig Kilometer ins Landesinnere und hat die spätere schleswig-holsteinische Nordseeküste komplett zertrümmert. Es gab irgendwas zwischen 30.000 und 100.000 Tote. Das war allerdings, bevor man ordentliche Deiche bauen konnte, außerdem war die Gegend damals nach dem Schwarzen Tod dünn besiedelt, man hatte also keine Leute zur Deichwartung.
Sturmfluten sind auch das einzige hier, was überhaupt gefährlich sein kann. Wenn das Rekord-Elbhochwasser an der Staustufe Geesthacht vorbei ist, ist da schon kaum mehr was von über. Und in Hamburg selber, wo die Elbe fast überall von schweren Seeschiffen befahren werden kann, verläuft sich das sowieso. Das sind maximal 50 cm mehr Pegel, die reichen nicht mal bis an den St. Pauli Fischmarkt ran, der bei jeder Sturmflut unter Wasser steht. Im Moment haben wir auch noch Nipptide mit Hochwasser 20 cm unter normal; ob also jetzt 50 cm Elbhochwasser in die Stadt kommen oder wir statt dessen Springtide haben, ist egal.
Aber Sturmfluten sind eine ganz andere Preisklasse. Das ist keine Schneeschmelze, und was da an Regenwasser mitkommt, das ist auch unerheblich. Das ist die Nordsee. Die Sache ist ja die: Die Elbe hat ja kein Mündungsdelta, sondern eine Trichtermündung, und die geht auch noch gegen die heftigsten Windrichtungen an. Wenn wir jetzt richtig Wind haben, also so Mittelwinde von 8, 9, 10 Bft aus Nordwest, dann fangen die an, das Nordseewasser gegen die Strömung der Elbe in diesen Trichter reinzudrücken. Das sind Wassermengen, wenn die durch Dresden kämen, könnte man den Zwinger mit einem Mini-U-Boot besuchen, und das Elbtal bei Bad Schandau würde überlaufen. Die Unterelbe ist im Trichterbereich ja einige Kilometer breit, da geht also 'ne Menge Wasser rein.
Normalerweise, also ohne Deiche, würde die Elbe sich sofort auf dem umliegenden Land verteilen, vielleicht auch kleinere Nebenflüsse ausspülen. Jetzt ist da aber alles eingedeicht. Das heißt, das Wasser, das den Fluß hochkommt, wird nicht unbedingt weniger, aber der Fluß wird enger. Und das bißchen, was bei Deichbrüchen (und heute braucht man schon eine Menge Druck, um so einen Deich brechen zu lassen, oder einen Prä-1962-Deich, der als erster nachgibt) durchkommt, fällt nicht groß ins Gewicht. Das heißt, die Wucht, mit der das Wasser die Elbe hochkommt, nimmt nicht unbedingt ab, zumal sich auch der Sturm im platten Land (westlich von Wedel ist es wirklich platt) nirgendwo fangen kann. Das drückt also alles mit voller Wucht auf Hamburg zu.
Das Gefährliche an einer Sturmflut ist ja auch die Brandung: Das Wasser strömt ja nicht nur an den Deichen vorbei und drückt mit seinem Eigengewicht drauf, sondern das wird vom Wind gegen alle Hindernisse gepeitscht – oder eben ins Landesinnere rein. Und dann kommt noch der Wellenschlag dazu. Auf Höhe Finkenwerder rechnet man inzwischen schon mal mit einer Wellenhöhe von einem Meter.
Hamburg selbst ist jetzt nicht platt wie'n Pfannkuchen. Der größte Teil der Stadt ist nicht mal in der Elbmarsch. Aber der Hafen und Stadtteile wie Finkenwerder und Wilhelmsburg liegen ziemlich tief auf den Resten der einstigen Elbinsel Gorieswerder. Das ist 1962 alles komplett abgesoffen, alleine in Wilhelmsburg sind 222 Menschen ertrunken. Wilhelmsburg war ja eingedeicht (sonst würde die ganz normale Tide zweimal am Tag den Stadtteil unter Wasser setzen), aber die alten Deiche hielten diesen Wassermengen unter diesem Winddruck nicht mehr stand. Gerade so wichtige Deiche wie der Klütjenfelder Hauptdeich am Berliner Ufer, vor dem ein Hafenbecken und hinter dem eine kleine, aber markante Backsteinwohnsiedlung liegt und damals sehr viele Behelfsbaracken waren, bestand teilweise nur aus Kriegsschutt, und wenn da der Wind die Elbe draufdrückt, dann gute Nacht, Marie.
Das kann man sich kaum vorstellen, was '62 an
eingedeichtem Gebiet unter Wasser stand. Das Alte Land war praktisch komplett weg bis auf beiden Seiten der Estedeiche nach Buxtehude rein (das liegt ca. 7 km von der Elbe weg), Wilhelmsburg stand fast komplett unter Wasser, von Finkenwerder guckte nur noch das alte HDW-Werftgelände raus, weil das an sich hoch genug lag, im Hafen waren nur die modernsten, am höchsten aufgeschütteten Kaianlagen noch sichtbar, das Marschgebiet zwischen Harburg und Winsen war komplett weg, Stelle war eine Halbinsel, im Norden ging das Wasser bis fast an die Mönckebergstraße (zum Glück kam's nicht bis an die Binnenalster, ansonsten kratzen Norderelbe und Unterelbe ja hart am Geestrand lang, da kommt nix hoch, ich sag nur St. Pauli, Altona und Blankenese), und ostwärts drückte der Wind es bestimmt 20 km weit die Bille hoch bis nach Bergedorf ran.
Gerade weil alles eingedeicht war, war die Sturmflut 1962 so verheerend. Wenn es keinen Flutschutz gibt, oder wenn der Flutschutz einfach überlaufen wird, weil er nicht hoch genug ist, dann kommt das Wasser allmählich. Wenn aber ein Deich bricht, schießt ins Hinterland auf einen Satz eine mehrere Meter hohe Wasserwand mit einer abartigen Geschwindigkeit und reißt allein durch ihre Wucht alles mit sich.
Um mal die Dimensionen der Wasserstände zu zeigen: Am Pegel St. Pauli (also an den Landungsbrücken) ist das mittlere Niedrigwasser 3,49 m, Normal Null 5 m und das mittlere Hochwasser 7,06 m – zwischen Cuxhaven und Geesthacht ist die Elbe Tidegewässer. Ab 8,50 m ist Sturmflut, ab 9,50 m schwere Sturmflut, ab 10,50 m sehr schwere Sturmflut. Die Sturmflut im Februar 1962 kam auf einen Höchstpegel von 10,75 m. Der Capella-Orkan 1976 brachte die nächste Extremsturmflut und den Rekordpegel von 11,45 m, aber da griffen schon die Ausbauarbeiten von nach 1962, also gab's kaum Folgeschäden. Der Pegel von 1962 wurde seitdem achtmal überboten und die 11-m-Marke dreimal, nie mit schwereren Schäden.
Seitdem rüstet man immer und immer weiter auf. Man muß sich nur mal den Abschnitt angucken in Hamburg vom Baumwall und den Alsterschleusen bis zu den Landungsbrücken. Das östliche Ende ist immer noch Baustelle, weil da die Promenade wieder angehoben wird, und das alte Landungsbrückengebäude ist neuerdings selbst Teil des Flutschutzes mit Panzerglasscheiben zur Elbseite und in jedem Durchgang riesigen stählernen Fluttoren. Die HafenCity hat man, sofern das Umland nicht hoch genug ist, auf Warften gesetzt, wobei die bei einer Rekordsturmflut bei viel Wellenschlag auch nicht sehr viel bringen werden. Die "Perlenkette" konnte man direkt an der Elbe nicht so hoch legen, die hat man auch mit Panzerglas versehen, und weil das eh "nur" Büros sind (die wahrscheinlich auch noch zum größten Teil leerstehen), nimmt man eine etwaige Überflutung in Kauf, und auch die kommt nur im Extremfall.