03.07.2019
Firebird schrieb:War wohl etwas misssverständlich ausgedrückt. Ich meinte es eigentlich so: Wieso müssen wir eigentlich auf dieses Spitzenkandidatenmodell oder die Hinterzimmerdiplomatie, die vdL nominiert hat, zurückgreifen um ein so wichtiges Amt wie den Kommissionspräsidenten zu besetzen? Es wäre wesentlich demokratischer, wenn die Bürger ihn oder sie wählen könnten.
Also, mit einem Spitzenkandidatenmodell hast du eigentlich eine Wahl durch die Bürger, was auch einer der Gründe ist, warum das Parlament sich dafür einsetzt. Das ist ziemlich genau das Legitimationsmodell, welches der deutsche Bundeskanzler aufweist, oder ein britischer Premierminister. Klappt grundsätzlich gut und hat sich bewährt, ist außerdem mit relativ geringem Eingriff aus dem Ausgangszustand einer Ernennung durch den Rat mit anschließender Anerkennung durch das Parlament umzusetzen.
Die Frage warum man nicht einfach sofort eine Direktwahl anstrebt ist ein wenig komplexer, auch wenn es definitiv Freunde einer solchen Idee gibt.
Erstmal, willst du nicht unbedingt eine Direktwahl für bestimmte Machtpositionen, weil du damit unweigerlich eine entsprechende Stellung politisierst. Die Kommission einer Direktwahl zu unterziehen bietet das Risiko, dass die Kommission ihrem eigentlichen Auftrag der Vertragshütung und ihrer Rolle als Vermittlerin zwischen den staatlichen Interessen nicht mehr nachkommt, sondern stattdessen, ganz im Sinne einer direkten demokratischen Legitimation, versucht ihren Einfluss geltend zu machen um ihrem Wahlklientel zu helfen. Man kann sich vorstellen welche Spannungen entstehen, wenn die Kommission nicht mehr nur via Amtsauftrag tendenziell pro-europäisch ist, sondern auch distinkt sozialdemokratisch oder konservativ und dann alle Staaten gleichermaßen dazu zwingen will eine entsprechende Politik zu vertreten. Aktuell gibt es zwar immer einzelne Favoriten von bestimmten Kommissionspräsidenten oder Kommissaren, aber am Ende sind die Vorschläge doch normalerweise auf Vertragstreue und Kompromiss ausgelegt, einfach weil die Kommission auch keine eigene demokratische Legitimation aufweist.
Das hat auch mit der Frage zu tun welches Souveränitätsbild wir an Europa anlegen. In einer Demokratie kommt die Souveränität vom Volk, aber die EU ist keine demokratische Republik, sondern ein Staatenverbund. Die Souveränität der Kommission und der anderen EU-Organe kommt durch die Mitgliedstaaten. Eine Direktwahl des Präsidenten setzt dann aber eine eigene demokratische Legitimation der Union gegenüber der Legitimation ihrer Mitglieder. Um es kurz zu machen, in dem Moment in dem die Union anfängt legitime eigene Wahlen für ihre Regierung abzuhalten, statt essentiell eine Bürokratie im Auftrag der Mitgliedsländer bereitzustellen geht Europa faktisch in den Zustand einer eigenen Nationalität über. Persönlich wäre das mein Wunsch, weil ich als Föderalist keine prinzipiellen Probleme darin sehe die Kompetenzen zwischen Bund- und Länderbene sinnvoll zu verteilen. Das ist aber nicht jedermans Wunsch da draußen. Ich würde sogar behaupten, dass bis auf weiteres ein solcher Schritt auch keine Mehrheit finden würde.
Wenn du also jetzt zu viel Demokratie auf einmal in die Europaebene einführst, bringst du damit nur die Union umgehend zu Fall, weil dann automatisch Situationen entstehen werden, in denen die Europäische Kommission in Brüssel Politik gegen einzelne, oder Gruppen an Mitgliedstaaten betreiben wird. Während aktuell die Kommission stattdessen den Auftrag hat die Souveränität ihrer Mitglieder zu bewahren und nur dort einzugreifen, wo gegen explizit unterzeichnete Abkommen verstoßen wird. Beispiel Flüchtlingskrise: Die Kommission wäre niemals auf die Idee gekommen Staaten wie Ungarn oder Polen wegen fehlender Flüchtlingsaufnahme zu kritisieren, wenn diese Staaten nicht vorher einer Verteilung explizit zugestimmt hätten, nur um dann lieber auf billige Stimmungsmache, statt auf Einhaltung ihrer vertraglichen Verpflichtungen zu setzen.
Lange Rede, kurzer Sinn, europäische Demokratisierung ist ein verdammt komplizierter Prozess, weil wir dabei bereits bestehende Demokratien schrittweise ihrer Souveränität berauben müssen. Die logische Folge einer demokratisch legitimierten Europaebene ist, dass die demokratisch legitimierten Landesregierungen weniger zu sagen haben. Das will aber auch kaum einer, weil sich bedauerlicherweise noch immer viele bereitwillig gegen die anderen Länder ausspielen lassen.