(11.02.2019)mowny schrieb: [ -> ]Ich meinte jetzt nicht die Kausalität "der hat wenig/viel Erfolg weil er einen geringen/hohen IQ hat" (die ich übrigens für einen Zirkelschluß halte), sondern "der hat einen geringen/hohen IQ weil".
Huch, dann liegt da das Problem - das ist nicht die Richtung der Kausalität, die ich meine. Im Gegenteil, ich halte Intelligenz für etwas Unveränderliches (also wenn wir jetzt mal sowas wie Hirnläsionen außer Acht lassen). Sieht man ja daran, dass der IQ über das Leben hinweg stabil bleibt, dass das eine eher angeborene Geschichte ist. (Also jedenfalls die fluide Intelligenz, die kristalline Intelligenz sollte sich natürlich mit dem Lebensalter über einen längeren Zeitraum noch vergrößern und die ist natürlich auch stärker von externen Faktoren abhängig.)
(11.02.2019)mowny schrieb: [ -> ]Wir sind in diese Diskussion geraten, weil jemand meinte, aus dem Durchschnitts-IQ verschiedener Völker Aussagen über deren individuelles und gesamtheitliches Potential und letztendlich über deren Wert ableiten zu können.
Naja, gut, dem würde ich aber natürlich auch nicht zustimmen.
Mein Problem war ja eher das da:
(11.02.2019)Meganium schrieb: [ -> ]Und weil jemand meinte, IQ sei Bullshit. Gab immernoch keine Rechtfertigung, was schade ist.
(11.02.2019)mowny schrieb: [ -> ]Vorhin habe ich übrigens noch nen schönen Link gefunden, in dem einige von meinen Punkten auch angesprochen werden, wesentlich besser als ich das kann: https://medium.com/incerto/iq-is-largely-a-pseudoscientific-swindle-f131c101ba39
Uff, das Paper finde ich etwas schwierig. Ich hab's jetzt erstmal überflogen und es legt irgendwie sehr mathematisch exakte Maßstäbe an ein psychologisches Konstrukt. Plus (falls ich jetzt nichts überlesen habe): Es argumentiert rein inhaltlich logisch, zieht aber keine Querverweise aus Zweitliteratur (außer "Guck, die haben damit auch Probleme.") oder bringt Belege aus Experimenten. Das Paper sehe ich in erster Linie als qualifizierte Meinung an, aber es kann keinen wissenschaftlichen Nachweis erbringen, dass der IQ kein sinnvolles Konstrukt ist.
(Und ich finde ihn in seiner Argumentation offen gesagt teilweise sogar etwas übergriffig und unsachlich gegenüber seinen Diskussionsgegnern.
Aber an vielen Stellen ist wirklich das größte Problem, dass er nicht sagt, woher er bestimmte Aussagen zieht. Sowas zum Beispiel:
"Some psychologist wrote back to me: “IQ selects for pattern recognition, essential for functioning in modern society”. No. Not seeing patterns except when they are significant is a virtue in real life."
Da würde ich ihm einfach frei heraus widersprechen, denn: Wenn unser Hirn nicht beständig unsere Umgebung auf Muster analysieren würde, woher würden wir dann wissen, wann eines davon signifikant ist? Wir lenken ja nicht ständig manuell unsere Aufmerksamkeit auf irgendwas und analysieren es nur dann. Also jetzt nur so als Beispiel, ich will jetzt nicht das ganze Paper durchexzerpieren, hin und wieder hat er ja durchaus 'nen Punkt.)
Wobei ich natürlich auch nicht sagen möchte, dass das Konstrukt völlig problemfrei ist. In meinem Fachbereich beschäftigen sich auch einige Leute mit diesen Problemen. Das Ding ist, dass man den IQ einfach nicht als "harte" Skala betrachten darf und man ihr bestimmte Konfidenzintervalle für jede Messung einräumen muss. IQ Messung ist nicht unbedingt präzise. Eine Standardabweichung sind immer 15 Punkte und das ist der Bereich, bei dem sich (langsam) Veränderungen in der Performanz bei kognitiven Aufgaben bemerkbar machen. In den Fällen, in denen dann tatsächlich IQ-Tests gemacht werden, gibt es dahinter ja immer einen prädiktiven Zweck. Beispielsweise in der Hochbegabungserkennung bei Schulkindern (wo man schon mindestens zwei Standardabweichungen nach oben rutscht und die Skala wieder aussagekräftiger wird). Ich habe auch eine Zeit lang in der Forensik gearbeitet und dort waren auch einige Patienten, die ihre Straftat mit starker Intelligenzminderung begangen haben. Und Intelligenzminderung ist ja auch nicht gleich Intelligenzminderung. Es gibt Leute, die leicht intelligenzgemindert sind und die unterscheiden sich auch behavioral sehr stark von denen, die mittelgradig oder gar stark intelligenzgemindert sind - soll heißen, man erkennt bei diesen bereits im Umgang mit ihnen, dass ihr IQ ein gutes Abbild ihres Intelligenzniveaus darstellt. Ich kenne beispielsweise leicht intelligenzgeminderte Leute (nicht nur im forensischen Kontext), die selbstständig in einer eigenen Wohnung leben und keiner sonderlichen Pflege bedürfen, während das bei starker Intelligenzminderung gar nicht denkbar ist. Ich habe mal einen Patienten mit einem IQ von unter 30 getroffen und außer rudimentärer Sprache war er quasi zu keiner tiefergehenden kognitiven Handlung fähig - was nochmal ein ganz anderes Bild ist als jemand mit einem IQ von sagen wir 40-50, bei dem es auch bereits zu starken Einschränkungen kommt.
Was ja auch noch ein Punkt ist, den ich aber nicht ganz so beim IQ selbst verantwortet sehe: Nutzung in der Realität. Das ist für mich eher einen moralische Frage als eine strukturelle Angelegenheit des IQs. Wenn mich jemand fragen würde, ob man sowas beispielsweise in der Personalrekrutierung berücksichten sollte, würde ich auch ganz klar Nein sagen. Schon gar nicht, wenn wir von zwei Bewerbern reden, von denen einer einen IQ von 102 und der andere von 103 hat - so trennungsscharf ist das Konstrukt einfach nicht. Aber auch abseits davon (sagen wir 130 vs. 90 waren's, glaube ich, im Paper) halte ich das für kein gutes Mittel zur Selektion - schlichtweg weil schon viel zu viel aufgrund unerheblicher Konstrukte vorsortiert wird und der IQ nicht immer ein geeignetes Maß ist, um eine spezifische Befähigung vorherzusagen. Ist ja ein Quotient, der aus vielen Bereichen zusammengetragen wird. Die individuellen Fähigkeiten der Bewerber genau auf das Berufsbild abzugleichen, halte ich für deutlich effizienter, um einen geeigneten Mitarbeiter zu finden.