27.02.2016
@J-C
Es geht mir nicht darum dich zum TTIP Anhänger zu überzeugen, aber ich würde dir gerne immerhin helfen mit ein paar Einseitigkeiten aufzuräumen. Da du in deinem Post sehr eindeutige Aussagen verwendest gehe ich einfach mal auf ein paar dieser Punkte ein.
"Die Bevölkerung" ist wesentlich zu kurz gedacht. Die teilt sich nämlich in unterschiedlichste Interessengruppen und Parteien auf, die teilweise erheblich auseinanderdriftende Interessen haben. Ganz so einfach ist es leider nicht.
Beispiel: Kulturpolitik. Frankreich hat eine sehr protektionistische Ader wenn es um Kulturgüter geht. Die Amerikaner vertreten da grundsätzlich eine sehr offene Ansicht. Die Geheimhaltung soll dafür sorgen, dass beide Seiten halbwegs vernünftig miteinander reden können, anstatt nach wie vor auf Wahlkampfziele oder populisische Meinungen Rücksicht nehmen zu müssen. Den Faktor hat man übrigens auch auf anderen politischen Ebenen. Wenn die Presse dabei ist, dann giften sich die Politiker nochmal besonders an, ziehen rote Linien und gebärden sich als die ultimativen Verteidiger ihres Wahlklientels, sobald die Türen zu sind und man nicht mehr "auf dem Marktplatz" steht redet man wieder ruhiger miteinander. Genau deshalb gibt es Themen, bei denen grundsätzlich keine Öffentlichkeit erwünscht ist, eben weil man dann auch mal sagen kann: "Leute, ich stimme euch ja zu, aber sowas kann ich meinen Wählern nicht vermitteln. Also kommt mir da bitte etwas entgegen, dann kann ich sagen wie hart ich gekämpft habe und wir haben einen Kompromiss." Der Grund also, warum der Finanzausschuss nicht öffentlich stattfindet. Wenn die Leute sich auch profilieren müssen, dann werden bestimmte Themen niemals gelöst werden, weil keiner bereit ist von seiner Position weiter als einen Millimeter abzuweichen.
Nicht nur in Europa, auch in Amerika haben mächtige Gruppen Interessen die Einfließen sollen und die sich oftmals widersprechen. Damit man überhaupt etwas entscheiden kann ist es manchmal notwendig die breite Öffentlichkeit draußen zu lassen. Was ich übrigens nicht als grundsätzliches Problem sehe, weil wir uns hier gerade erst in der Phase der Aushandlung einer Kompromisslösung zwischen den USA und Europa bewegen. Das Mandat reicht nicht so weit die Sache dann sofort Gesetz werden zu lassen. Mich persönlich stört an der Geheimhaltung in erster Linie, dass sie extrem selektiv ist. Manche Lobbygruppen haben mehr Einsicht als andere und das ist für den Diskurs extrem schädlich. Einmal weil weitere Akteure vielleicht auch legitime Ansichten einfließen lassen wollen, zum anderen weil die ausgeschlossenen sich, verständlicherweise dann lieber auf Gerüchte und Meinungsmanipulation in der Öffentlichkeit konzentrieren. Die Ausartung der Debatte in ein Sammelsurium aus tatsächlichen Risiken, Halbwahrheiten und manchmal auch dreisten Lügen ist in meinen Augen eine direkte Folge davon, dass man versucht bestimmte Gruppen komplett aus dem Entscheidungsprozess auszuschließen. Wären Parlamente und Verbraucherschützer zum Beispiel besser in der Lage die Verhandlungen regelmäßig offen zu kommentieren wäre es, vielleicht, etwas rationaler.
Um auf diesem Level an Vereinfachung zu bleiben. Das ist der Grund warum die Verhandlungen auch noch laufen. Beide Seiten machen Vorschläge, beide Seiten diskutieren und am Ende wird vielleicht, so ganz glaube ich nicht daran, ein Vertragsentwurf stehen den beide Seiten dann ratifizieren müssen. Beide Seiten versuchen ihre Interessen durchzubringen und eine ideale Version von was auch immer gab es dort bisher wohl nicht. Es gibt noch genügend Punkte neben den Schiedsgerichten, die keine Einigung erzielt haben und es gab, soweit mir bekannt, auch durchaus innerhalb der EU-Delegation genug Diskussionsstoff. Auch die Amerikaner treten nicht nur mit einem bestimmten Willen auf. Ganze Bundesstaaten machen Druck weil sie europäische Konkurrenz bei Lebensmitteln, oder bestimmte Regulierungen fürchten.
Ob "das Volk" "gute Gründe" hat etwas abzulehnen ist die eine Sache. Unabhängig davon forderst du aber genau das was im Grunde passiert. Wenn es nicht gefällt, dann muss weiter verhandelt werden und obwohl man Fortschritte in manchen Bereichen erzielt hat ist TTIP noch nicht verabschiedet.
Da kannst du aufhören zu Munkeln, es sind in beiden Delegationen Vertreter von Lobbyverbänden anwesend und es gibt innerhalb der Verhandlungsstruktur auf beiden Seiten Lobbygruppen die gehört werden und stärkere Einblicke erhalten. Im Gegensatz zu mancher Darstellung sind Lobbyisten keine Dämonen die kleine Kinder fressen, sondern Vertreter bestimmter, oftmals auch völlig legitimer Interessen. In diesem Sinne kritisiere ich ja auch die Verhandlungen wie sie gerade ablaufen. Manche Lobbyverbände können sich äußern und in die Verhandlungen einbringen. Manche können das nicht. Im Sinne der Fairness sollten immerhin auch Interessengruppen gehört werden, die nicht für die Industriezweige sprechen. Leider ist das nicht der Fall und obwohl ich persönlich gerne erst einmal sehen würde was am Ende ausgehandelt wurde, so sollte das Ergebnis schon ziemlich gut sein um die Geheimnistuerei zu rechtfertigen. Im Moment gehe ich allerdings nicht davon aus, dass TTIP am Ende tatsächlich in Kraft tritt, auch weil man so viele Interessengruppen bisher gezielt fern gehalten hat.
Wenn mal deine Bank oder Versicherung insolvent geht weil sie in Projekte im Ausland investiert hat und die dortige Regierung das über Nacht verstaatlicht hat reden wir noch einmal darüber. Es sind nicht nur "böse" Multikonzerne die von solchen Sachen betroffen sind, sondern sowas kann viele Firmen treffen, die irgendwie im internationalen Warenverkehr beteiligt sind.
Ich lasse jetzt einfach mal die ganzen ethischen Fragen von wegen Diebstahl oder Betrug außen vor, sondern möchte dich nur auf eine Sache hinweisen. Die selbe Logik, nach der die einzelnen Staaten die Verstaatlichung ausländischen Besitzes in ihren Grenzen rechtfertigen ist der Grund warum die Amerikaner diese Schiedsgerichte seit ein paar Jahrzehnten einführen.
Wenn der eine Staat sagt, dass er verstaatlicht um die Interessen seiner Wirtschaft zu schützen, dann sagen die Amerikaner, dass sie Schiedsgerichte einbauen um die Interessen ihrer Wirtschaft zu schützen. Du könntest sogar sagen, dass Amerika quasi dazu verpflichtet ist, die Interessen seiner Bürger, dazu gehören auch Anleger, im Ausland zu schützen. Beispielsweise indem die USA ihr möglichstes tun um die Investiotionen ihrer Firmen rechtlich abzusichern und sie dem direkten Zugriff der anderen Regierung teilweise zu entziehen. Willkommen in der Welt der Nationalstaaten, wo beide Seiten das Recht haben sich gegenseitig weh zu tun und beide in der Pflicht stehen irgendwie ihre eigenen Leute vor dem anderen zu schützen. Die mangelnde Fähigkeit von Nationalstaaten sich bei sowas sinnvoll auf gemeinsame Interessen zu verständigen ist der Grund warum Schiedsgerichte überhaupt verhandelt werden.
Das ist ein mir unbekanntes, aber auch relativ merkwürdiges Beispiel für die Arbeit von Schiedsgerichten. Normalerweise wollen die Leute eher auf Vattenfall usw. anspielen, der Fall den du hier benennst ist eher unintuitiv.
Darüber hinaus, wieso zur Hölle soll irgendein Gericht "produktiv" sein. Es geht bei einem Gerichtsurteil darum herauszufinden, welche Aktion rechtlich einwandfrei ist und welche durch das Gesetz geahndet wird. Wenn dein Beispiel so stattgefunden hat wäre noch interessant das Urteil zu kennen, denn normalerweise sind diese Gerichte eher für Urteile im Sinne des Wettbewerbs bekannt. Weniger dafür derartigen Protektionismus durchzuwinken.
Es geht mir nicht darum dich zum TTIP Anhänger zu überzeugen, aber ich würde dir gerne immerhin helfen mit ein paar Einseitigkeiten aufzuräumen. Da du in deinem Post sehr eindeutige Aussagen verwendest gehe ich einfach mal auf ein paar dieser Punkte ein.
Zitat:Ach die Bevölkerung könnte also Druck ausüben.
"Die Bevölkerung" ist wesentlich zu kurz gedacht. Die teilt sich nämlich in unterschiedlichste Interessengruppen und Parteien auf, die teilweise erheblich auseinanderdriftende Interessen haben. Ganz so einfach ist es leider nicht.
Beispiel: Kulturpolitik. Frankreich hat eine sehr protektionistische Ader wenn es um Kulturgüter geht. Die Amerikaner vertreten da grundsätzlich eine sehr offene Ansicht. Die Geheimhaltung soll dafür sorgen, dass beide Seiten halbwegs vernünftig miteinander reden können, anstatt nach wie vor auf Wahlkampfziele oder populisische Meinungen Rücksicht nehmen zu müssen. Den Faktor hat man übrigens auch auf anderen politischen Ebenen. Wenn die Presse dabei ist, dann giften sich die Politiker nochmal besonders an, ziehen rote Linien und gebärden sich als die ultimativen Verteidiger ihres Wahlklientels, sobald die Türen zu sind und man nicht mehr "auf dem Marktplatz" steht redet man wieder ruhiger miteinander. Genau deshalb gibt es Themen, bei denen grundsätzlich keine Öffentlichkeit erwünscht ist, eben weil man dann auch mal sagen kann: "Leute, ich stimme euch ja zu, aber sowas kann ich meinen Wählern nicht vermitteln. Also kommt mir da bitte etwas entgegen, dann kann ich sagen wie hart ich gekämpft habe und wir haben einen Kompromiss." Der Grund also, warum der Finanzausschuss nicht öffentlich stattfindet. Wenn die Leute sich auch profilieren müssen, dann werden bestimmte Themen niemals gelöst werden, weil keiner bereit ist von seiner Position weiter als einen Millimeter abzuweichen.
Nicht nur in Europa, auch in Amerika haben mächtige Gruppen Interessen die Einfließen sollen und die sich oftmals widersprechen. Damit man überhaupt etwas entscheiden kann ist es manchmal notwendig die breite Öffentlichkeit draußen zu lassen. Was ich übrigens nicht als grundsätzliches Problem sehe, weil wir uns hier gerade erst in der Phase der Aushandlung einer Kompromisslösung zwischen den USA und Europa bewegen. Das Mandat reicht nicht so weit die Sache dann sofort Gesetz werden zu lassen. Mich persönlich stört an der Geheimhaltung in erster Linie, dass sie extrem selektiv ist. Manche Lobbygruppen haben mehr Einsicht als andere und das ist für den Diskurs extrem schädlich. Einmal weil weitere Akteure vielleicht auch legitime Ansichten einfließen lassen wollen, zum anderen weil die ausgeschlossenen sich, verständlicherweise dann lieber auf Gerüchte und Meinungsmanipulation in der Öffentlichkeit konzentrieren. Die Ausartung der Debatte in ein Sammelsurium aus tatsächlichen Risiken, Halbwahrheiten und manchmal auch dreisten Lügen ist in meinen Augen eine direkte Folge davon, dass man versucht bestimmte Gruppen komplett aus dem Entscheidungsprozess auszuschließen. Wären Parlamente und Verbraucherschützer zum Beispiel besser in der Lage die Verhandlungen regelmäßig offen zu kommentieren wäre es, vielleicht, etwas rationaler.
Zitat:Wenn das Volk aus guten Gründen TTIP nicht will, dann sollte man in der Form nicht weiter verhandeln sondern stattdessen eine bessere Version vorlegen. Dies geschah. Eine Art TTIP-light mit genannten Verbesserungen wurde ausgehandelt, doch wie gesagt gefiel das den Amerikanern nicht.
Um auf diesem Level an Vereinfachung zu bleiben. Das ist der Grund warum die Verhandlungen auch noch laufen. Beide Seiten machen Vorschläge, beide Seiten diskutieren und am Ende wird vielleicht, so ganz glaube ich nicht daran, ein Vertragsentwurf stehen den beide Seiten dann ratifizieren müssen. Beide Seiten versuchen ihre Interessen durchzubringen und eine ideale Version von was auch immer gab es dort bisher wohl nicht. Es gibt noch genügend Punkte neben den Schiedsgerichten, die keine Einigung erzielt haben und es gab, soweit mir bekannt, auch durchaus innerhalb der EU-Delegation genug Diskussionsstoff. Auch die Amerikaner treten nicht nur mit einem bestimmten Willen auf. Ganze Bundesstaaten machen Druck weil sie europäische Konkurrenz bei Lebensmitteln, oder bestimmte Regulierungen fürchten.
Ob "das Volk" "gute Gründe" hat etwas abzulehnen ist die eine Sache. Unabhängig davon forderst du aber genau das was im Grunde passiert. Wenn es nicht gefällt, dann muss weiter verhandelt werden und obwohl man Fortschritte in manchen Bereichen erzielt hat ist TTIP noch nicht verabschiedet.
Zitat:Sowas sollte man nicht mit Zeitdruck machen, sondern sowas so herausarbeiten, dass man was fundiertes und gescheites hat und nicht so einen Geheimvertrag, wo gemunkelt wird, dass da Lobbyisten am Werke waren.
Da kannst du aufhören zu Munkeln, es sind in beiden Delegationen Vertreter von Lobbyverbänden anwesend und es gibt innerhalb der Verhandlungsstruktur auf beiden Seiten Lobbygruppen die gehört werden und stärkere Einblicke erhalten. Im Gegensatz zu mancher Darstellung sind Lobbyisten keine Dämonen die kleine Kinder fressen, sondern Vertreter bestimmter, oftmals auch völlig legitimer Interessen. In diesem Sinne kritisiere ich ja auch die Verhandlungen wie sie gerade ablaufen. Manche Lobbyverbände können sich äußern und in die Verhandlungen einbringen. Manche können das nicht. Im Sinne der Fairness sollten immerhin auch Interessengruppen gehört werden, die nicht für die Industriezweige sprechen. Leider ist das nicht der Fall und obwohl ich persönlich gerne erst einmal sehen würde was am Ende ausgehandelt wurde, so sollte das Ergebnis schon ziemlich gut sein um die Geheimnistuerei zu rechtfertigen. Im Moment gehe ich allerdings nicht davon aus, dass TTIP am Ende tatsächlich in Kraft tritt, auch weil man so viele Interessengruppen bisher gezielt fern gehalten hat.
Zitat:Wieso sollen diese Länder ihre Wirtschaft nicht verstaatlichen dürfen? Das stört meiner Meinung nach nur Multikonzerne und vielleicht das eigene Volk, wenn diese Staatsunternehmen schlecht wirtschaften würden.
Wenn mal deine Bank oder Versicherung insolvent geht weil sie in Projekte im Ausland investiert hat und die dortige Regierung das über Nacht verstaatlicht hat reden wir noch einmal darüber. Es sind nicht nur "böse" Multikonzerne die von solchen Sachen betroffen sind, sondern sowas kann viele Firmen treffen, die irgendwie im internationalen Warenverkehr beteiligt sind.
Ich lasse jetzt einfach mal die ganzen ethischen Fragen von wegen Diebstahl oder Betrug außen vor, sondern möchte dich nur auf eine Sache hinweisen. Die selbe Logik, nach der die einzelnen Staaten die Verstaatlichung ausländischen Besitzes in ihren Grenzen rechtfertigen ist der Grund warum die Amerikaner diese Schiedsgerichte seit ein paar Jahrzehnten einführen.
Wenn der eine Staat sagt, dass er verstaatlicht um die Interessen seiner Wirtschaft zu schützen, dann sagen die Amerikaner, dass sie Schiedsgerichte einbauen um die Interessen ihrer Wirtschaft zu schützen. Du könntest sogar sagen, dass Amerika quasi dazu verpflichtet ist, die Interessen seiner Bürger, dazu gehören auch Anleger, im Ausland zu schützen. Beispielsweise indem die USA ihr möglichstes tun um die Investiotionen ihrer Firmen rechtlich abzusichern und sie dem direkten Zugriff der anderen Regierung teilweise zu entziehen. Willkommen in der Welt der Nationalstaaten, wo beide Seiten das Recht haben sich gegenseitig weh zu tun und beide in der Pflicht stehen irgendwie ihre eigenen Leute vor dem anderen zu schützen. Die mangelnde Fähigkeit von Nationalstaaten sich bei sowas sinnvoll auf gemeinsame Interessen zu verständigen ist der Grund warum Schiedsgerichte überhaupt verhandelt werden.
Zitat:Dazu sind Schiedsgerichte teils unproduktiv. So wollte man in Kanada zur Entlastung einer hoch frequentierten Straßenbrücke eine weitere Brücke bauen, doch dagegen klagte die Baufirma der ersten Brücke, "weil deren Brücke schon genüge"...
Das ist ein mir unbekanntes, aber auch relativ merkwürdiges Beispiel für die Arbeit von Schiedsgerichten. Normalerweise wollen die Leute eher auf Vattenfall usw. anspielen, der Fall den du hier benennst ist eher unintuitiv.
Darüber hinaus, wieso zur Hölle soll irgendein Gericht "produktiv" sein. Es geht bei einem Gerichtsurteil darum herauszufinden, welche Aktion rechtlich einwandfrei ist und welche durch das Gesetz geahndet wird. Wenn dein Beispiel so stattgefunden hat wäre noch interessant das Urteil zu kennen, denn normalerweise sind diese Gerichte eher für Urteile im Sinne des Wettbewerbs bekannt. Weniger dafür derartigen Protektionismus durchzuwinken.