Rechen666 schrieb:Nun, diese "feindliche Rhetorik" ist genauso eine Rhetorik wie die der Verteidiger solcher Gruppen. Beide haben sich zu beweisen. Und wenn die Gegenseite sich nicht verteidigt oder eine Gesellschaft schlicht nicht im Diskurs dagegen vorgeht, dann sind evtl. antisemitische oder rassistische Gesetze ein Produkt des eigenen Mangels an Mut oder Fähigkeit
Und während wir von der Gesamtgesellschaft uns in Stuhlkreisen zusammenfinden um darüber zu reden was schief gelaufen ist leben Teile der Gesellschaft ohne Anerkennung ihrer Menschenrechte. Oder sie leben einfach garnicht mehr. Aber was soll's? Der freie Wettbewerb der Meinungen ist so wichtig, dass wir buchstäblich mit dem Leben dritter spielen dürfen. Wenn die Fackelzüge durch die Straßen ziehen und eine Gewaltherrschaft errichtet wird, die alle Probleme auf eine Minderheit schiebt, der niemand mehr zuhört, weil keiner mehr riskieren kann als Freund von "denen" aufzufallen, dann war dies einfach nur die Konsequenz daraus, dass man sich in einem fairen Wettbewerb nicht hat durchsetzen können. Na, mehr Glück beim nächsten Mal!
Das wird dir wahrscheinlich übertrieben vorkommen, aber genau sowas ist der Hintergrund dieses Gesetzes. Wir haben den Beweis in unserer Geschichte, dass ein freier Wettbewerb der Ideen alleine eben nicht ausreicht um die Rechte von Minderheiten zu schützen. Und der Schutz dieser Rechte ist wesentlich höher einzustufen als deine Unwilligkeit zu erkennen, dass es die Reichweite und das Vorgehen ist, die in diesem Gesetz bewertet wird. Nicht die Idee selber.
Lässt sich als vermeintlicher Teil der Mehrheitsgesellschaft natürlich auch leicht sagen, dass vielleicht ein paar diskriminierende Gesetze erlassen werden, dann hätte man eben Pech gehabt. Warum aber dieses Mindestmaß an Empathie hier fehlt weis ich nicht einzuschätzen. Andererseits, wenn du Menschrechte als Teil von Autokratien begreifst, dann kann ich es mir schon etwas mehr erklären. Aber hey, so lange hier jeder nur so feindlich gegen jeden hetzen darf wie er will kommt unsere Gesellschaft bestimmt weiter. Weil alle diese anderen Sachen wie Würde, körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit, Gleichberechtigung und dieser ganze sonstige Schmarrn müssen definitiv davor zurückstecken, wenn irgendwelche Menschen ihre Ideen von Untermenschentum verbreiten wollen.
Zitat:Ob mein Herz nun schwarz sein soll oder meine Motive unedel, das sei jedem einfach mal selbst überlassen, schließlich geht es darum auch nicht. Wie bereits oben beschrieben, das Prinzip ändert sich nicht.
Wenn du meinst, dass das Prinzip die Äußerung einer Meinung ist, dann ja, es ändert sich nicht. Weshalb es auch nicht der Grund ist, warum der Artikel existiert oder warum du verurteilt wirst. Alle dürfen ihre Meinung im privaten Umfeld äußern so viel sie wollen. Liberaler, Kommunist, Umweltschützer und Nazi dürfen auch in der Öffentlichkeit reden und für ihre Ideen werben. Sobald aber irgendeiner davon meint gegen Minderheiten hetzen und zu Gewalt aufrufen zu müssen, dann ändert sich was. Dann ist es auch egal ob der Nazi gegen Juden, der Umweltschützer gegen Fleischkonsumenten, der Kommunist gegen Millionäre oder der Liberale gegen Arbeitslose hetzt. Der einzige Grund warum eine bestimmte Gruppe von den vieren so häufig mit diesem Artikel in Berührung kommt, ist die Tatsache, dass die ganze Ideologie auf Hass, Außgrenzung, Selbstüberhöhung und Gewalt basiert. Da bleibt dann nicht viel was man sagen kann ohne sich strafbar zu machen. Wobei, einige intelligente Individuen schaffen auch das und siehe da, keine Probleme mit der Staatsanwaltschaft. Ist eigentlich nicht so schwer.
Aber ok, die AfD, als selbsterklärte Retterin der entrechteten Volksverhetzer, möchte dieses Problem natürlich angehen. Es ließe sich ja auch viel einfacher gegen die eigenen Feindbilder hetzen und man würde so gerne einfach jeder Minderheit die Menschenrechte absprechen können, die der eigenen Meinung zuwider handelt. Endlich mal so richtig verbal auf alle diese Dunkelhäutigen, Muslime, Juden und hin und wieder auch vielleicht mal wieder die Sozis eindreschen wäre so viel spaßiger und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man das irgendwann auch mal wieder straffrei in der Realität nachholen kann. Irgendwer wird sich schon berufen fühlen. Wie bei der Pizzeria in den USA, oder dem Mord an Jo Cox in Großbritannien, oder den "besorgten russischen Bürgern" die Jagd auf Homosexuelle machen. Was für eine tolle Gesellschaftsutopie! Natürlich nur so lange man sich brav in die selbstdefinierte Mehrheitsgesellschaft einfindet.
Mephysta schrieb:In dem Zuge würde mich ja mal interessieren, welche Klagen auf den §130 in den letzten Jahren nicht nur gestellt, sondern auch durchgegangen sind. Und wie dabei das Ausgangsdelikt ausgesehen hat. Ich glaube, da würde man ein viel besseres Bild davon kriegen, über welche Dimensionen wir hier reden, statt von den verhältnismäßig zahmen "Ich finde Ausländer doof."-AfD-Tweets.
Ganz genau kann ich dir das leider nicht sagen. Da wir von einem Artikel des StGB reden ist die Archivierung zu kleinteilig. Es würde mich zwar selber interessieren, wie viele Anzeigen bundesweit in Anklagen übergehen, wie viele davon durchkommen und welche Urteile so im Schnitt gesprochen werden, aber ein zentrales Archiv, wo man solche Daten bekommen würde scheint es nicht zu geben. Zumindest nicht für mich auffindbar. Die Strafen können zwischen Sozialstunden, Geldstrafen und Gefägnis liegen, was die Sache nochmal schwieriger macht in einen "Durchschnitt" zu bringen. Hier im Link findest du allerdings einige jüngere Beispielurteile.
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