Ok, ich fang ganz vorne an, so hat eine Diskussion einfach keinen Sinn.
Wird wohl etwas länger.
Vorweg:
Die Diskussion hier handelt hauptsächlich von den Konzepten und der Behandlung Arbeitloser. Argumente wegzuwürgen, weil die Befürworter kein detailliertes Umsetzbarkeitsmodell darstellen können ist schiere Idiotie. Niemand ist hier Finanzexperte, ohne genauste Kenntnisse über unser Steuersystem und den aktuellen Zahlen ist eine Entwicklung des Modells einfach nicht machbar, zumal es auch dann nicht einfach mal so eben entwickelt werden kann. Gegenrechnungen sind ebenfalls lächerlich, da sie hunderte Aspekte vollkommen unter den Tisch kehren und von Modellen ausgehen, die sie beliebig wählen. Beispielsweise die Rechnung von Hagi, welche die Steuern einfach auf die Einkommensteuer, welche ~1/4 der Gesamteinnahmen beträgt, pauschalisiert. Alle möglichen Konsumsteuern, welche mit Sicherheit auch von einem neuen Konzept beeinflusst werden, werden dabei ignoriert. Davon abgesehen ist unser derzeitiges System ebenfalls nicht finanzierbar.
Natürlich sind Bedenken bezüglich der Umsetzbarkeit gerechtfertigt, nur sollte man beachten, dass diese nicht endgültig sein müssen. Einfach mal ausm Bauch heraus eine Milchmädchenrechnung zu erstellen beweist gar nichts.
Ich habe auch überhaupt nichts dagegen, die Umsetzbarkeit von Konzepten grob zu umreißen, dafür muss man sich nur erstmal auf das Konzept einigen und kann dann Punkte für oder gegen die Umsetzbarkeit abwägen.
Auch gilt, dass unabhängig der Umsetzbarkeit eines Modells, die Idee im Vordergrund steht.
TL;DR
schweift nicht vom Thema ab
Die Behandlung von Arbeitlosen und Ansätze dahinter stehen im Vordergrund.
Umsetzbarkeit kann/soll natürlich auch diskutiert werden, aber bitte ohne damit alles abzuwürgen.
Zum Thema:
Der entscheidende Faktor, für mich zumindest, hinter bGE ist der Philosophie-Wechsel:
"Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben in Würde, kein Mensch sollte dafür kämpfen müssen ein solches Leben führen zu dürfen"
Wir leben in einem Sozialstaat, als solcher haben wir es uns zur Aufgabe gemacht die Schwachen zu unterstützen und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dafür sollte kein Mensch sich rechtfertigen müssen. Ist es so schwer seinen Mitmenschen dieses Recht zu gewähren, ohne sie zu verurteilen und es zu hinterfragen? Die Menschenrechte sind sogar in unserer Verfassung verankert. Natürlich muss auch jetzt kein Mensch sterben, allerdings wird das nicht als selbstverständlich anerkannt, sondern diese Leuten müssen den Staat ständig erklären, warum sie doch Leben dürfen. Von den Bild, was die Bevölkerung auf sie hat mal ganz abgesehen.
Ist es fair, wenn sich jemand faul zuhause hinsetzt und auf die Kosten der Gesellschaft lebt? Nein.
Kennt man diese Personen, weiß man was sie dazu antreibt? Nein.
Sollte man sie aus der Gesellschaft ausgliedern und sterben lassen? Meiner Meinung nach nicht.
Ist es gut, dass man Leute die tatsächlich auf Hilfe angewiesen sind, also Schmarotzer dargestellt werden und auch seiten des Staates teilweise als solche behandelt werden? Sicher nicht.
Es sind teilweise höchst private Gründe, oder die Situation ist der Person unglaublich peinlich, vielleicht kann sie auch nicht mit den Stress und Schuldzuweisungen umgehen. Tatsächlich landen viele Leute mit Anspruch auf ALG2 auf der Straße, eben weil sie dieses nicht erhalten, weil sie sich nicht angemessen rechtfertigen können oder wollen. Geht gerne mal durch die Stadt und redet dort mit den Obdachlosen.
Ich persönlich war noch nie auf Sozialhilfen angewiesen (bzgl ihr seid doch eh alles Hartzer), habe Abitur gemacht und arbeite/studiere als dualer Student. Zahle fleißig meine Steuern, lerne nebenbei, arbeite und habe Übernahmegarantie auf einen gut bezahlten Job. Hatte niemals Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, im Gegenteil von 3 Bewerbungen habe ich 3 Zusagen erhalten. Aber nicht jeder hat das Glück, und nein nicht jeder kriegt so einfach einen Job, das ist einfach so leicht dahingesagt. "Aber bei mir hat das geklappt, und bei meinen Kumpel auch. Einfach in 2 Wochen ne Arbeit gefunden, ez peasy". Mit Lückenlosen Lebenslauf und akzeptablen Zeugnis mag das stimmen, aber Leute bauen scheiße, Leute erleben scheiße, Dinge passieren. Du hattest keine Ausbildung oder sie wird nicht anerkannt (siehe die Mikami-Katze), hast dein Leben lang als Aushilfe irgendwo gearbeitet und verlierst mit Ende 40 deinen Job, mit Pech sogar chronisch erkrankt. Viel Spaß auf den Arbeitsmarkt. Eine Ausbildung und Umschulung ist den Alter fast unmöglich, auch kleinere Arbeiten werden bevorzugt jüngere Bewerber nehmen, zumal die Nachfrage nach Arbeit nicht zu gering ist. Da wird der Unternehmer nun mal die jüngeren nehmen. Das Wissen über die eigenen Rechte ist beschränkt, man wird also oft abgeschmettert, auch vom Arbeitsamt, obwohl einen Hilfen zustehen. Wer es da nicht packt rechtzeitig wieder was zu finden wird Probleme haben: Gesellschaftlicher Ausstoß ("Scheiß Schmarotzer!"), Druck vom Arbeitsamt und eine immer größer werdende Lücke im Lebenslauf, wodurch Arbeit zu finden einfach noch schwerer wird. Geht es den Leuten etwa gut, wollen die etwa nicht arbeiten? Ich kann voll verstehen, wenn das langläufig zu Resignation führt. Das sind auch sicher keine Einzelfälle, sondern macht vermutlich einen größeren Teil der Langzeitarbeitslosen aus, als "Schmarotzer". Hagi, du würdest diesen Leuten allen das Recht auf ein menschenwürdiges Leben absprechen und auf die Straße schmeißen.
Darüberhinaus ist dieses ganze System Hartz4 vollkommen kaputt. Leute die Geld brauchen, erhalten keins. Seis, wegen gewissen Kriterien die bei ihnen nicht zutreffen, mangelndes Wissen über ihre Rechte oder sonst was. Andere die es nicht brauchen, erhalten es, Schwarzarbeit, andere Geldbeschaffungen, die hier schön ausgeschmückten "total arbeitsfähige aber scheiße faule Schmarotzer". Und Leute die es brauchen und tatsächlich auch erhalten haben ewigen Ärger mit den Arbeitsamt. Sinnlose Maßnahme, lächerliche Bedingungen (bewirb dich mal an den total unseriösen Job, wovon du nicht mal Leben kannst und nimm den dann auch an...), ewiges Rechtfertigen. Ja, Hartz4 geht sogar soweit, dass eigentlich arbeitswillige Leute, nicht arbeiten können, um weiter ein menschenwürdiges Leben zu führen. Das Amt wäre damit dann nicht einverstanden und würde ihnen das Geld streichen. Das klingt lächerlich, ist aber Realität, welche ich selbst schon erleben durfte.
Inb4: Bei bGE würden solche Arbeiten einfach nicht gemacht werden und irgendjemand muss die ja erledigen:
Je nach Modell, wird das unterschiedlich aufgegriffen und auch versucht zu lösen. Wie ich bereits 1000 mal geschrieben habe, würde hier ein progressiv fallendes bGE diese Jobs sogar lukrativer machen, da man dann tatsächlich mit einigermaßen anständiger Entlohnung aus den Monat kommt. Die Pflegebranche gehört ohnehin vollkommen reformiert, unmögliche Arbeitsbedingungen zu unglaublichen schlechten Preisen.
bGE würde natürlich nicht nur ALG2 betreffen, in diesem Thema geht es nur vorrangig um die Behandlung und Ansichten von ALG2 Empfängern, sondern alle Sozialhilfeempfänger bzw sogar allen deutsche Bürger. Bei denen gilt das gleiche, wie schon erwähnt: Kein Mensch sollte sich für seine Existensgrundlage rechtfertigen müssen und sie einfach als selbstverständlich haben. Der Stolz verbietet es vielen Leuten zum Amt zu gehen und seine Leiden vorzutragen, gerade bei psychischen Erkrankungen ist sowas oft auch verdammt persönlich und geht ihn einfach gar nichts an. Das ist für Betroffene mitunter peinlich und stressig, bis hin zu herabwürdigend. Wer unter sozialen Phobien leidet, wird dabei besonders Spaß haben. Natürlich gilt das nicht für jeden, aber sicher für genug.
Was die Arbeitslosigkeit als solche angeht (besonders Motivationslose und "dumme kack arbeitsunwillige Schmarotzer"):
Ich sehe das momentane System hier kontraproduktiv. Man stelle sich vor:
"Der kleine Fritz ist lernt nie für die Schule und kommt immer mit schlechten Noten heim. Mama & Papa finden das natürlich gar nicht toll, erstmal Taschengeld kürzen, bis der Junge sich auf den Arsch setzt und mal was für die Schule macht. Der Bengel setzt sich natürlich hin und lernt solange nötig, damit er wieder Taschengeld kriegt, um die Schule gehts in dabei aber nicht. Er kriegt also wieder sein Taschengeld und das Spiel geht von vorne los. Mama, Papa tadeln, ihr Kind ist ja so unfähig und dumm." Klingt nach der perfekten Erziehung.
Groß anders ist es bei Arbeitslosen nicht:
Wirklich Arbeitsunwillige bleiben doch weiter arbeitlos, Menschen die alle Hoffnung verloren haben und als "Sozialschmarotzer" abgestempelt wurden verlieren jede Motivation, verfallen eventuell in Depressionen, und schaffen es sich immer selbst einzureden, damit sie auch der Loser bleiben, der sie anscheinend sind. Ja richtig, ich will damit sagen, dass Leute die sich total dämliche Ausreden ausdenken, oft sogar tatsächlich daran glauben. Diese Mentalität diese als dumme "Sozialschmarotzer" und Versager zu betiteln ist da alles andere als hilfreich, dadurch finden sie auch keinen Job. Wenn das Amt dann auch drauf haut und sie bestraft (sprich Leistungen kürzen), wird es auch nicht unbedingt besser. Ja, vielleicht kriegen die dann einen Ansporn sich wieder aufn Arsch zu setzen, damit sie wieder ihre Leistungen erhalten, aber die Einstellung wird sich kaum bessern. Und mit so einer Einstellung wird man keinen Job finden oder lange behalten.
Es wäre viel hilfreicher, wenn man diesen Leute seine Hilfe anbietet, versucht mit ihnen zu reden und die Hintergründe zu verstehen. Das kann der Staat natürlich nicht alles machen, allerdings handelt es sich hier um Erwachsene Menschen denen man doch etwas Verantwortung anvertrauen kann, vielleicht hilft das den Leuten ja. Man bietet seine Hilfe an, unterstützt Arbeitssuchende und versucht Leute zu erreichen. Leute die Arbeit wollen, werden auch Hilfe annehmen, wenn sie merken, dass sie unterstützt und nicht einfach nur als "nutzlos" abgestempelt werden. Der Effekt ist ein ganz anderer wenn ich da freiwillig hingehe und Unterstützung erhalte, als wenn ich dazu verdonnert werde, damit ich doch was zur Gesellschaft beitrage. Klar wirds schwarze Schafe geben, die sich nen Dreck drum kümmern, damit muss man dann wohl leben.
Natürlich ist bGE keine Universal-Lösung auf alles, das soll es auch gar nicht sein und das will ich nicht behaupten. Es ist ein Systemwechsel und die Folgen auf den Arbeitsmarkt sind Spekulationen, Arbeitslosigkeit muss unabhängig davon angegangen werden. Die Mentalität bezüglich Arbeitslosen sollte sich meiner Meinung nach grundlegend ändern, und muss sich auch ändern, falls man bGE durchsetzen will. Die Finanzierbarkeit wirft viele Fragen in den Raum und ist stark abhängig von schwer vorhersehbaren Faktoren, die erst deutlich mehr untersucht werden müssen. Grundsätzliche Konzepte gibt es, die durchhaus möglich sind, ja Hagi die findet man auch ausgearbeitet. Nicht mal schwer, sind sogar im Wiki-Artikel verlinkt. Mal ein Beispiel:
http://www.sw.fh-jena.de/fbsw/profs/michael.opielka/downloads/doc/2007/Opielka_-_Strengmann-Kuhn_Das_Solidarische_Buergergeld.Finanz-und_sozialpolitische_Analyse_in_Borchard-KAS_Hrsg._Lucius_u_Lucius_2007.pdf
Ich will da jetzt auch gar nicht groß eingehen, habe schon mehr als genug geschrieben.
TL;DR
Imho sollte sich niemand für das Recht auf Leben rechtfertigen (Menschenrechte und so)
Nicht jeder findet einfach Arbeit
Hartz4 macht viel Scheiße (Ungerechte Bezieher, ungerechtes Abweisen)
Hartz4 ist suboptimal zur Arbeitslosigkeitsbekämpfung
bGE Link
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