@BlackT0rnado
Es gibt genug Leute dort draußen die berechtigte Gründe haben sich gegen Corona-Maßnahmen auszusprechen. Wie Meganium aber bereits andeutete, solche Leute findet man aber nicht unbedingt auf Demonstrationen, für die ein relativ hohes Maß an Engagement erforderlich ist. Und was in meinen Augen noch viel wichtiger ist: Man sollte nicht den Fehler machen die Glaubwürdigkeit der Vernünftigen auf diejenigen zu erweitern, die offensichtlich von allen guten Geistern verlassen sind.
Ich habe mich auch schon bei Demonstrationen befunden wo ich mich dann zwischen Leuten wiederfand, mit denen ich nicht mitdemonstrieren konnte ohne mich vor mir selbst unglaubwürdig zu machen. In solchen Fällen distanziert man sich von der entsprechenden Gruppe oder verlässt im Zweifel die Demonstration auch am Besten völlig. Aber jemandem, der von der großen Bill Gates Verschwörung faselt einfach mal die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie jemandem, der sich Sorgen um sein Unternehmen macht und deshalb eine Lockerung will ist letztlich auch nicht sinnvoll. Mit so einem Verhalten ziehen wir dann nur die Verschwörungstheoretiker und Esoteriker noch weiter ins Zentrum der Debatte. Und es hilft dann letztlich auch nur den politischen Rändern, weil diese die moderaten Positionen einfach in "Lügenpresse"-Sprechchören ertränken.
Wer hierzulande der Meinung ist, dass Clubs wieder öffnen sollen, weil der entsprechende Wirtschaftszweig irgendwann mal wieder laufen muss, oder Konzerte sollen wieder stattfinden, oder die Schulen wieder möglichst ohne Einschränkungen arbeiten können, derjenige hat überhaupt keine Probleme gehört zu werden und seine Argumente vorzutragen und er wird auch genug Verbündete in Politik, Medien und Gesellschaft als Ganzes finden. Wer gegen die Rettungsmaßnahmen ist muss sich von mir zwar die Frage stellen lassen, wie diese Person sich eigentlich die Bewältigung einer Wirtschaftskrise vorstellt, aber hey, die Möglichkeit für eine sinnvolle Antwort gibt es da durchaus. Bei der Gelegenheit übrigens: Es ist ein in Deutschland weit verbreiteter Irrtum, dass "Geld drucken" und Inflation das Gleiche wären. Sind sie nicht. Inflation ist Preiserhöhung. Wenn die sonstigen Wirtschaftsdaten wie beispielsweise Rohstoffpreise und Löhne günstig sind kannst du theoretisch so viel Geld in Umlauf bringen wie die Druckerpressen und die elektronische Geldschöpfung hergeben und wirst trotzdem keine Inflation sehen. Da lassen sich schon die letzten zehn Jahre als Beispiel betrachten. International sind die Notenbanken nach der Krise von 2008 allesamt heiß gelaufen, aber insgesamt haben wir es damit kaum geschafft eine Deflation abzuwenden. Massives Geld drucken kann eine Reaktion von Wirtschaftssystemen auf Inflation sein, wenn Regierungen beispielsweise versuchen teurer gewordene Güter wie Erdöl durch neu geschaffenes Geld zu beschaffen, die Probleme sind aber erstmal tiefer liegend.
Und der Grund warum ich das gerade anspreche ist, dass wir hier doch wieder ein Beispiel haben warum so viel wirtschaftspolitische Kritik von "Otto-Normalverbraucher" ins Leere geht und gehen muss. Der durchschnittliche Deutsche hört von großen Geldmengen und denkt wegen des nationalen Traumas der Hyperinflation anfang des letzten Jahrhunderts sofort, dies sei von vorneherein abzulehnen. Das Staatsverschuldung anders funktioniert als Privatverschuldung kriegst du in die meisten auch nicht rein, ebensowenig wie die Erkenntnis, dass ein zusammenbrechender Euroraum die meisten Jobs hier in Deutschland unhaltbar machen würde, weil bei aller Ingenieursqualität eben doch internationale Lieferketten zur Versorgung einer Exportwirtschaft berücksichtigt werden müssen.
Versuche die volkswirtschaftlichen Abhängigkeiten zu erklären gab es genug und wird auch weiterhin versucht werden, aber wohl mit genauso mäßigem Erfolg. Und wenn sich dann einer hinstellt und sagt, er sei gegen Rettungsgelder für den Euroraum und die Folgen für die eigene Wirtschaft schlicht nicht anerkennen will, was für eine Diskussion soll man dann führen? Mancher versucht sich bestenfalls noch auf die Floskel: "Besser ein schreckliches Ende als ein Schrecken ohne Ende." zurückzuziehen, als wäre das ein gelungener Ersatz für den Versuch den kompletten Kollaps der Wirtschaft irgendwie zu stoppen. Jetzt wo ich es geschrieben haben. Erinnert sonst noch jemanden diese Einstellung an ein: "Wir müssen jetzt eben mit dem Virus leben lernen"?
BlackT0rnado schrieb:Ach ich setz nochmal einen oben drauf: die Medien gaben in einer Eilmeldung 1 Std im Voraus heraus das die Corona Demo aufgelöst sei, bevor überhaupt die Polizisten die Veranstalter dazu aufforderten die Demonstration aufzulösen, aufgrund unzureichender Schutzmaßnahmen.
Finde ich jetzt auch schon etwas merkwürdig, wie schnell die überhaupt an diese Information kamen, muss wohl ein Vögelchen gezwitschert haben.
Du warst noch nicht auf einer größeren Demo oder? Gerüchte über Demoauflösungen, Ortswechsel oder sonstige Dinge kursieren bei eigentlicher jeder Demonstration deren Teilnehmerzahl nicht in ein durchschnittliches Klassenzimmer passen würde. Und die anwesenden Journalisten reden auch mit sowohl Demonstranten als auch den Einsatzkräften. Informationen in einem Live-Ticker vorzufinden die erst einige Zeit später offiziell verkündet werden ist eine völlig normale Situation. Was soll daran merkwürdig sein in deinen Augen? Ist ja nun wirklich nicht so als gäbe es da eine Geheimhaltungspflicht gegenüber der Presse. Eher im Gegenteil, offene Kommunikation mit Pressevertretern gilt allgemein als guter Kurs der Einsatzkräfte, weil es den Demonstrationsverlauf für alle Beteiligten etwas vorhersehbarer macht.
Leon schrieb:Und jetzt? Die gleichen Leute und die komplette Medienlandschaft, die vor 2 Monaten noch den Black Lives Matter Demos zugeklatscht haben, echauffieren sich wieder über Corona-Demos. Wo ist da jetzt der Unterschied?
Ich bin jetzt ernsthaft enttäuscht, dass sich dir der Unterschied nicht von selber erschlossen hat. Im ersten Fall haben wir Demonstrationen gegen strukturellen Rassismus, ausgelöst durch einen Fall in den USA, wobei die Demonstrationen weitestgehend mit den Auflagen kooperiert haben. Das hat nicht perfekt geklappt, aber der Grund war allgemein nachvollziehbar, ebenso der Zeitpunkt und das Demonstrationsrecht ist aus gutem Grund nicht abgeschafft worden. Wenn sich Massen zu Demonstrationen zusammenfinden kann das nicht perfekt sein, aber die Demonstrationen haben allgemein versucht zur Einhaltung von Abstandsregeln etc. aufzurufen. Außerdem gab es damals durchaus Kritik, auch wenn die brutale Ermordung von George Floyd für einige Zeit mal wieder ein anderes Thema größer als Corona machte.
Auf der anderen Seite stehen ca. 17.000 Demonstranten mit "Lügenpresse"-Sprechchören, die gezielt jegliche Kooperation bezüglich Corona-Schutzmaßnahmen verweigern und sich hinter Familien und berechtigten Interessen verstecken um ihren Quatsch in die Welt zu setzen und in einigen Fällen auch einfach nochmal vom Systemumsturz zu träumen. Demonstrationen sind nicht gleichwertig und schon garnicht mit Respekt zu behandeln nur weil sie stattfinden.
Zitat:Genau das impliziert aber eine sehr einseitige Sichtweise. Eine Überprüfung, welche Maßnahmen wirklich etwas gebracht haben, gab es zumindest auf politischer Seite nicht. Hat denn der Lockdown wirklich die Zahlen gesenkt? Bringen die ganzen Maßnahmen wie Masken überhaupt etwas? Ist Schweden eigentlich schon ausgestorben? Wie überleben Niederländer oder Dänen, ganz ohne Masken im Supermarkt? Warum ist Belgien trotz Maßnahmen das Land mit den weltweit zweitmeisten Todesfällen (pro Bevölkerung)? Fragen, für die viele Antworten seit mindestens Mai existieren, die man aber nicht hören will.
Eine Aneinanderreihung von Fragen konstituiert noch keinen Diskurs, insbesondere wenn die Fragen so formuliert sind, dass offensichtlich wird, dass keine Diskussion gewünscht ist. Aber um daraus so viel zu holen wie ich im Moment erkennen kann. Nur weil Konferenzen der Referendarsebenen in den Ministerien nicht in der Zeitung stehen, bedeutet das nicht, dass keine Reflektierung auf politischer Seite stattfindet. Kurz vor Beginn der Krise sind sogar in vielen Teilen Deutschlands Benachrichtigungen an Reservisten raus gegangen, weil man nicht wusste ob die Krankheit hier so schlimm zuschlagen würde, dass man die Bundeswehr zur Unterstützung ziviler Einrichtungen aktivieren müsste. Heute diskutieren von der Stadtratsebene bis zu den Bundesbehörden alle Verantwortlichen mehr darüber, was man noch alles öffnen oder lockern kann, ohne die Ansteckungsgefahr massiv zu erhöhen und auch die wirtschaftlichen Probleme sind bereits längst Thema. Die Europäische Kommission arbeitet an weiteren Vorschlägen für effiziente Mittelbeschaffungen für den gesundheitssektor und an Monitoring-Mechanismen, damit wir in Zukunft nicht noch einmal erleben müssen, dass nationale Regierungen in Europa wegen einem Mangel an Absprachen sich gegenseitig die Grenzen schließen und die Medikamente wegkaufen. Überhaupt ist Europa ein gutes Beispiel. Selbst in diesen letzten paar Monaten hat sich das System verändert. Am Anfang des Jahres hatte die EU keinerlei Kompetenzen im gesundheitlichen Bereich. Jetzt gibt es gemeinsame Beschaffung und zukünftig geltende Krisenmechanismen sind in Arbeit. Bist du sicher, dass es dir um die politische Reflektion geht, oder ist es nicht doch mehr so, dass du annimmst, dass die Antworten alle nur so ausfallen können wie du es annimmst und erklärst dir divergierende Ergebnisse jetzt einfach damit, dass die anderen die Auseinandersetzung verweigern würden?