Mike84 schrieb:Genausowenig wie RWE Manager der Maßstab für Umweltpolitik sind.
Falls der eine Akademiker nicht aussreicht kann man ergänzen, dass alleine mehr als 12 000 Wissenschaftler eine Erklärung unterschrieben haben, die die Forderungen der Fridays for Future Bewegung unterstützt.
Und wenn vielleicht beide aufeinander und auf andere Perspektiven hören kommen wir wenigstens zu einem Verständnis der jeweiligen Positionen.
Damit wir uns nicht mit den falschen Punkten aufhalten: Wenn es nach mir geht kann die Kohle rückwirkend für die letzten zehn Jahre aus dem Energiemix entfernt werden. Man darf sich allerdings keiner Illusion hingeben, was für eine Aufgabe das ist. Der Fokus alleine auf die Arbeitsplätze hilft da letztlich genau so wenig weiter, wie nur auf die Klimabilanz. bei Bedarf kann jeder weitere potentielle Fokus hier ebenfalls stehen, wie beispielsweise technische Machbarkeit, oder die nationale Sicherheit. Einer alleine reicht nicht.
Ich hatte schon einmal auf die hohe Bedeutung der Kohle im deutschen Energiemix hingewiesen. Ich wiederhole das jetzt einmal, nicht um irgendwelche Argumente per se zu entkräften, sondern um vielleicht dem ein oder anderem Leser beim Verstehen der Schwierigkeit beim Kohleausstieg zu helfen.
Erstmal, zum Energiemix:
Energieversorgung
Unschwer zu erkennen ist die Kohle im gesamten Energiemix Deutschlands ein prominenter, wenn auch nicht der größte Faktor. Schon hier zeigt sich aber, dass die Kohle mit ihren ca 1/4 des Energiemixes nicht leicht zu ersetzen sein dürfte. Aber man denkt sich vermutlich, die Sache müsste mit einem entsprechenden politischen Schritt irgendwie machbar sein. Vielleicht etwas optimistisch, aber hey. Nehmen wir einfach mal an wir können ganz schnell diesen Bestandteil unserer gesamten Energieversorgung ersetzen. Naja, dann sollten wir uns vielleicht aber mal ansehen was wir eigentlich genau machen müssen. Kohle und Öl werden ja nicht alle am gleichen Ort eingesetzt. Da können wir dann sehen, dass Öl natürlich im Transportsektor eine gewaltige Rolle spielt. Die Kohle wiederum ist ganz besonders wichtig bei unserer Elektrizitätsversorgung.
Elektrizitätsversorgung Deutschland
Hier nimmt die Kohle noch immer ein gutes Drittel unsrer Versorgungsgrundlage ein. Was schon gar nicht mehr so einfach zu ersetzen sein dürfte, weil wir in keinem Moment einen Wegfall der Stromversorgung riskieren wollen. Dazu gehört auch die Frage, durch welchen Energieträger wir die Kohle im Einzelfall eigentlich ersetzen wollen. So wie es ist dient die Kohle nämlich nicht nur zur Energiegewinnung, sondern auch als bequeme Transportmöglichkeit. Von den Verbleibenden Gruben in Ost und West, wie auch vom Hamburger Hafen aus kann die Kohle per Schiff oder Bahn problemlos in alle Ecken der Republik transportiert werden. Auch an Orte, an denen aus geologischen Gründen nur schwache Winde vorherrschen und das Wetter bei Solarenergie zu sehr im Weg steht. Das alles muss ersetzt, oder zumindest modifiziert werden. Was technisch nicht einfach ist.
Da hängt aber um ein Vielfaches mehr dran, als nur die Zahl an Arbeitsplätzen die direkt mit der Kohle assoziiert werden. Daneben gibt es den ganzen Themenkomplex der Auswirkungen auf den Transportsektor und natürlich auch die Infrastrukturmaßnahmen die für andere Energieträger erforderlich sind. "Nord-Süd-Trasse" sollte ein Begriff sein. Da haben wir momentan schon genug Probleme diese Versorgungsrouten zu bauen. Aber volkswirtschaftlich betrachtet müssen wir den Strom irgendwie von den Offshore-Anlagen im Norden zur Industrie im Süden bekommen. Oder plant jemand unter euch so viel Mais in der Republik anzubauen, dass VW seinen Strombedarf durch Biogas gedeckt kriegt?
Hinzu kommt. Die Kohle war nicht nur ein einfach zu transportierendes und berechnbares Gut für die Energiewirtschaft. Sie ist auch noch im Land selbst in hohen Mengen verfügbar, was uns eine gewisse Unabhängigkeit von internationalen Importen gibt. Diese Form von Unabhängigkeit ist mit keiner sonstigen konventionellen Energiegewinnung erreichbar und die Erneuerbaren entwickeln sich zwar positiv, bringen aber genannte Probleme mit dem Transport oder der Speicherung von Energie mit sich. Alles irgendwie lösbar, aber an mancher Stelle steht nicht einmal unbedingt die Technik oder das Geld im Weg, sondern auch sonstige wirtschaftliche und ökologischen Erwägungen. Bedarf an seltenen Erden, Bodenfläche, oder auch mangelnde Verlässlichkeit bestimmter Energien in einer Region.
Die Graphiken entstammen dem 2018er Bericht der Internationalen Energie Agentur. Wer es genauer Wissen will, dem sei auch ein Blick in die Data-Tables empfohlen. Sehr faszinierend, wenn man sich für das Thema tatsächlich interessiert.
Ich möchte noch einmal klar stellen, dass dies keine Aufforderung ist die Hände in den Schoß zu legen. Der Kohleausstieg erfolgt mir mit Abstand nicht schnell genug und unsere Regierung zeigt sich in meinen Augen zu passiv. Aber ich könnte nicht garantieren, dass selbst eine reine "Grünen-Regierung" viel schneller vorwärts kommen könnte. Wenn sich Anwohner über die Stromtrasse beschweren, Artenschützer den Ausbau von Windkraft wegen erschlagener Vögel und Insekten kritisch sehen und die Bayern alles blockieren werden was die Energieversorgung ihrer Industriezentren gefährdet, dann kann ich das nicht nur verstehen, die Positionen sind ebenfalls alle valide und Kompromisse können ins leere laufen. Gleichzeitig wird eine Regierung, die alle Pläne einfach erzwingt ihr politisches Kapital vermutlich in wenigen Wochen komplett verbrauchen und das Land danach in faktische Unregierbarkeit wegen institutioneller Blockade stürzen.
Ich fände es nur hilfreich, wenn sich jeder wenigstens vergegenwärtigt, was für eine Kraftanstrengung tatsächlich von der Volkswirtschaft und dem politischen System erwartet wird. Das macht die Ziele nicht zwingend einfacher zu erreichen, kann aber immerhin dazu führen, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Ansichten tatsächlich noch über das Problem unterhalten können. Bislang führt es, in meiner Wahrnehmung, mehr dahin, dass sich zwei unversöhnliche Lager bilden, die sich gegenseitig weder zuhören, noch die Interessen der anderen nachvollziehen möchten. Dann degeneriert die Demokratie zu einem rein despotischen Kampf um relative Mehrheiten und dem Anspruch die eigene Politik immer zu 100% durchzusetzen. Was im grundgesetzlichen System zur Systemsperre führt, weil unsere Republik konsensual orientiert arbeitet. Darüber hinaus ist die relative Mehrheit in Deutschland im Rentenalter. In einem solchen Konflikt sind die U-30er also schon demographisch benachteiligt. Es würde mich zwar wundern, wenn die Klimathematik schnell wieder abflaut, aber ich würde davon abraten seine eigene Politik jetzt ausschließlich auf drängenden Klimaproblemen und einer Verächtlichmachung des politischen Gegners aufzubauen. Einen derartigen Konflikt halte ich für gefährlich. Und ja, mir ist klar, dass Teile der CDU die Sache gerade selbst in die Richtung führen. Über deren Stimmverluste rege ich mich
höchstens auf, wenn stattdessen die Antidemokraten von der AfD und Co. Zuwächse einfahren.