Die Tür-Thematik ist einfach symptomatisch für die Entwicklung der letzten ca. 30 Jahre.
Bis dahin wurden Verkehrsbetriebe meist von Experten ihres Fachs, oft von Grund auf hochgearbeitet, geleitet, und der Fahrgast war eben das: ein Fahrgast, für den Rechte, aber auch Pflichten galten; eine davon war es, eben nicht an der Bahnhofstür das Gehirn auszuschalten, sondern auch selber auf mögliche Gefahren zu achten und selber an der pünktlichen Beförderung mitzuwirken, eben indem z.B. keine Türen blockiert wurden. Das alles war allgemein anerkannt, wer sich nicht daran hielt, konnte nicht damit rechnen, auch noch recht zu bekommen. Es gab keine seitenselektive Türsteuerung (außer bei den modernsten Fahrzeugen), keine Türblockierung während der Fahrt, keine Spaltüberbrückung... und siehe da, trotzdem flogen eben nicht tagtäglich die Leute zu Hunderten aus den Zügen oder rutschten zwischen Zug und Bahnsteig. Erstaunlich, oder?
Dann, im Zuge des "Wirtschaftlichmachens", wurde die Leitung immer mehr an völlig fachfremde, aber wirtschaftsstudierte Manager übertragen. Die entdeckten den Fahrgast zunehmend als "König Kunde" und räumtem ihm immer mehr Freiheiten ein, und im Zuge völlig falsch verstandener Kundenfreundlichkeit wurde ihm noch bei gröbstem Fehlverhalten und Eigenverschulden recht gegeben - man wollte ja mit Macht "kundenfreundlich" werden, schoß dabei aber Lichtjahre weit ûber das Ziel hinaus. Das Ergebnis sehen wir heute: maßloses Anspruchsdenken, eine "Das-steht-mir-zu!"- und eine "Ich-habe-das-Recht-dazu!"-Mentalität, die weltweit ihresgleichen sucht
Die Rechtssprechung folgte Schritt - immer öfter wurde bei Unfällen mit dem Totschlagargument der allgemeinen Betriebsgefahr zuungunsten der Betriebe entschieden, und wenn sich der Fahrgast noch so dämlich angestellt hatte.
Darüber ging völlig verloren, daß ich sowohl als Fahrgast wie auch als Kunde eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten habe - mit den allseits bekannten heutigen Auswüchsen.
Noch vor 30 Jahren brauchte es keine wild blinkenden, piependen und pfeifenden Türen, die trotzdem noch mit Lichtschranken und Einklemmschutz gesichert sein müssen - da galt noch: was einmal gesagt wurde, war auch so gemeint, sei es das "Zurückbleiben", der Achtungspfiff des Zugführers oder das Abfahrsignal der Straßenbahn. Und wer sich nicht daran hielt, mußte selber mit den Konsequenzen zurechtkommen
Und anderswo ist das heute immer noch so - nur nicht in 'murica-'schlaaaaand. Leider.
Wegen Aufklärung und Erziehung: als in der DDR im Straßenbahnbereich die Schaffner abgeschafft und das Türenschließen / die Zugabfertigung dem Fahrer übertragen wurde, erhielten ausnahmslos alle Türen Warnanschriften: "Ab Abfahrsignal nicht einsteigen/aussteigen!" (je nach dem, ob man drinnen oder draußen vor der Tür steht). Das Abfahrsignal selbst bestand aus einer Klingel und mindestens einer orangenen Warnleuchte. Und siehe, es funktionierte
Einfach, weil es diese gesellschaftliche Anspruchsdenken- und Vollkasko-Mentalität nicht gab. Auch S- und U-Bahn Ostberlins hatten das - und auch da klappte es.
In Westdeutschland setzte man bei den Straßenbahnen nach den Schaffnern direkt auf Lichtschranken (vermutlich einfach, weil man es konnte) oder manuelle Ansagen des Lokführers - seltsamerweise haben sich im Westen nie Abfahrsignale durchgesetzt. Aber auch da galt noch immer der Fahrgast eben als solcher - mit Rechten, aber auch Pflichten.
Aber zurück zur "Aufklärung": ich empfehle einmal mehr Prag. Noch heute steht dort an jeder Straßenbahn- und Stadbustür (zugegeben nur von innen), auch bei den neuesten Neubaufahrzeugen, in roten Buchstaben auf weißem Grund zu lesen: "ZAZNÍ-LI VÝSTRAHA, OPUSŤTE DVEŘNÍ PROSTOR!" "Beim Ertönen des Signals verlassen Sie den Türbereich!" Das ist eine unbedingte Aufforderung - da steht kein "prosím" ("bitte") dabei - im Gegenteil stand da noch bis Mitte/Ende der 90er ein "URYCHLENĚ" ("schnellstens" / "sofort") mit dabei. Und bei der Metro gibt es seit ihrer Eröffnung 1974 die Abfertigungs-Bandansage (inzwischen Sprachchip): "Ukončete výstup a nástup, dveře se zavirij!" ("Beenden Sie das Aus- und Einsteigen, die Türen schließen sich!") Warum man da Ende der 90er das "prosím" mit reinnahm, weiß ich freilich bis heute nicht - aber unverändert gilt: was einmal gesagt wurde, war auch so gemeint, ohne Wenn und Aber. Man ist dort deshalb nicht unfreundlich zu den Fahrgästen, aber Kundenfreundlichkeit dort bedeutet: die Fahrgäste werden pünktlich befördert; wer in anständigem Ton was fragt, darf eine anständige Antwort erwarten, niemand wird grundlos angeblafft - aber auch niemand in Watte gepackt und auch keinem Puderzucker in den Plot geblasen.
Das alles wäre hier auch wieder möglich - aber nach drei Jahrzehnten des Fahrgast-Verziehens bräuchte es dazu hierzulande einen grundlegenden Mentalitätswandel, der leider absolut nicht in Sicht ist.